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Martin Ebers

"Das halbe Bild"

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Gewalthaltige Computerspiele

3.1 Pornographie

3.1.1 Medienkritik und Moral

Zunächst einmal ist der Begriff der "Pornographie" selbst sehr abschätzig, da er eigentlich bereits eine moralische Ablehnung von seiten derjenigen impliziert, die ihn gebrauchen, ähnlich wie bei den Begriffen "Killerspiele" oder "Gewaltmusik". Übersetzt heißt "Pornographie" nämlich "Hurenzeichnung". Wenngleich es sich bei Pornographie nicht immer um so etwas wie Kunst handeln mag (die von wohlwollenden Betrachtern auch als "Erotika" bezeichnet wird), wird dieser Begriff dem Medium eigentlich kaum gerecht, jedenfalls nicht weitgehender als beim Vergleich von Computerspielen "an sich" als "Tötungssimulatoren".

3.1.1.1 Kritik an "moralischen" Argumentationslinien

Gerade beim Thema der Pornographie zeigt sich noch stärker als bei der Gewaltdarstellung in den Medien, daß öffentliche Meinung und Gesetzgebung gänzlich unabhängig von Forschungsergebnissen sind, sondern vielmehr primär ideologisch argumentiert wird (vgl. Heiliger 2005, S.6).

So fußt die bayerische Bundesratsinitiative ihre Argumentation, Pornographie entwürdige die Darsteller und mache sie austauschbar (vgl. ), in den Äußerungen des Katechismus der katholischen Kirche (vgl. KKK §2354). Darin werden aber auch andere Handlungen explizit verdammt, die nicht der Fortpflanzung innerhalb einer Ehe dienen (vgl. "Bischof verweigert impotentem Mann kirchliche Trauung", abgerufen am 09.06.2008), wie Selbstbefriedigung, vorehelicher Geschlechtsverkehr und Homosexualität (vgl. KKK §2352f., 2357-2359). Insofern ist zu fragen, ob hier nicht bestimmte Moralvorstellungen, die Teil einer Religion sind, für alle Bürger verbindlich gemacht werden sollen.

In konservativ religiösen Kreisen, die nicht gerade von der Vorstellung von Frauenrechten angetan waren, war man jedenfalls derselben Meinung. So war die Haltung der "Kirchenväter" und "Kirchenlehrer" sehr häufig von einer Abwertung der Frauen gekennzeichnet. Johannes Chrysostomos schrieb etwa, die Frauen seien insbesondere dazu bestimmt, "die Geilheit der Männer zu befriedigen". Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin waren der Meinung, die Frau sei ein minderwertiges Wesen (vgl. und Zitat). Auch heute noch sind in der katholischen Vorstellung Frauen und Männer nicht gleichwertig. Heute wird die Frau zwar nicht mehr biblisch korrekt als "dem Manne untertan" (vgl. ) bezeichnet, wohl aber immer noch primär als Ergänzung zum Mann verstanden (vgl. Ebertz 2006, S.7). Im konservativen Islam ist man schließlich der Meinung, eine Frau, die sich nicht verschleiere, bringe Männer zur Raserei, sei letztlich für Gewalt gegen sich und alle möglichen anderen Übel verantwortlich (vgl. Barak et al. 1999, S.66).

Sinnigerweise übernehmen aber auch Feministinnen derartige Argumentationen. Es ist süffisant, daß auch diejenigen, die Frauen zu einer vermeintlich freien Sexualität verhelfen wollen, ihre Sexualität dann auf der anderen Seite wieder reglementieren wollen, indem sie darüber befinden, was eine "ordnungsgemäße" Sexualität zu sein hat. Dazu zwei Beispiele:

a. Der 1954 veröffentlichte berühmte erotische Roman "Geschichte der O", der von der intellektuellen und zurückhaltenden Dominique Aury unter Pseudonym (dies seinerseits ein Künstlername) geschrieben wurde (vgl. Wikipedia: Dominique Aury, abgerufen am 22.06.2008), handelt von einer beruflich erfolgreichen Frau, die tatsächlich ihrerseits sexuelle Erfüllung nur in erfahrener Erniedrigung (Fesselung, Auspeitschung etc.) erfährt. Diese findet allerdings konsensuell statt, die Protagonistin kann also ihr Einverständnis auch verweigern. Eine Kommission der BPjM, die aus drei Frauen bestand, befand allerdings nun, daß "[d]as [im Buch] skizzierte Frauenbild [...] in keiner Weise dem sexuellen Empfinden von Frauen [entspreche]", und indizierte dieses Buch (vgl. Wikipedia: "Geschichte der O", abgerufen am 22.06.2008). Es ist allerdings doch sehr fraglich, ob sich drei bestimmte Frauen auch zu Richterinnen über die Legitimität der Befindlichkeiten aller ihrer Geschlechtsgenossinnen machen dürfen. So scheint das Sehnen nach Erniedrigung bei einigen Menschen (und auch das Bestreben, anderen dieses Bedürfnis zu erfüllen) durchaus Teil der menschlichen und damit auch der weiblichen Sexualität zu sein. Nach verschiedenen Untersuchungen sollen 5-25% der Bevölkerung solche Neigungen haben, beispielsweise sogar gut zwei Drittel der Frauen hin und wieder phantasieren, ihrem Sexualpartner ausgeliefert sein zu wollen. Diese Formen der Sexualität werden heute noch häufig als "pervers" bezeichnet. Nach dem ICD-10, allerdings nicht mehr nach dem DSM-IV, werden sadomasochistische Neigungen als psychische Störungen gesehen. Menschen mit diesen Neigungen werden im gesetzlichen Rahmen oder zumindest in der polemischen "Diskussion" sogar teilweise in die Nähe von Pädophilen und anderen Sexualverbrechern gestellt - so bezeichnete die CDU eine entsprechende Veranstaltung in Berlin als Verharmlosung von "rassistische[r] Vergewaltigungspornographie", oder wurden diese Formen der Sexualität mit den Methoden in Saddam Husseins Folterkellern verglichen. (Allerdings ist es irgendwo schon wieder perfide, eine Situation, in der auch der Gefesselte durch vorher vereinbarte Zeichen vermitteln kann, daß er bitte aufhören möchte, damit zu vergleichen, daß Menschen systematisch, ohne Mitleid oder emotionale Rührung und häufig bis zum Tod gequält wurden. Die normale Sexualität wird ja auch nicht verpönt, weil es Vergewaltigungen gibt.) Ein "outing" solcher Neigungen hat entsprechend bisweilen soziale und berufliche Konsequenzen (vgl. Wikipedia: BDSM, abgerufen am 22.06.2008).

Es gibt natürlich keine "normative Kraft des Faktischen". Wenn aus einem sexuellen Spiel Handlungen erwachsen, die von einem der Partner nicht gewünscht sind, z.B. eine echte Vergewaltigung, oder würde ein Partner z.B. vom anderen verlangen, ihn zu erwürgen, was der andere dann auch tut, dann wäre dies ebenso strafrechtlich zu verfolgen. Eine konsensuelle Handlung aber, die nur die Ausübenden betrifft und diesen keinen Schaden zufügt, der gesetzlich zu behandeln wäre, kann zwar vielleicht nach bestimmten Moralvorstellungen abgelehnt, nicht aber gesetzlich verurteilt werden. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Homosexualität: Je nach Untersuchung haben etwa 5-10% der Bevölkerung unterschiedlich stark ausgeprägte homosexuelle Neigungen, und ist zumindest im westlichen Kulturkreis heute einigermaßen akzeptiert. Erklärte heute eine Kommission, männliche Homosexualität möge akzeptabel sein, bei Frauen sei die Homosexualität aber kein typisches Verhalten (gleichwohl in den Sexuallehren der abrahamitischen Religionen der Frau keine eigene Sexualität zugestanden wird), würde ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen: Wenn man einer Frau nicht dieses Recht ebenso zugesteht, weil durch die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch und bis in die jüngste Zeit Frauen auch sexuell unterdrückt wurden, schränkt man deren sexuelles Selbstbestimmungrecht damit entsprechend ein.

b. Weiter geht natürlich Alice Schwarzer im Rahmen ihrer "PorNO"-Kampagne, indem sie BDSM-Praktiken wie auch den Konsum und die Herstellung von Pornographie generell verteufelt. Die Ziele dieser Kampagne gingen sogar soweit, auch den Besitz gewaltfreier Pornographie unter Strafe zu stellen. Schwarzer argumentiert, daß durch eine sexuelle Befreiung, die Pornographie nicht verbiete, vor allem die Freiheit des Mannes vergrößert worden sei und dadurch, daß Frauen sich bereitwillig "degradierten", letztlich das Bild von der Vorherrschaft des männlichen Geschlechts fortgeführt werde (vgl. Wikipedia: "PorNO"-Kampagne, abgerufen am 22.06.2008). Letztlich läuft diese Argumentation darauf hinaus, zunächst einmal eine Annahme über männliche Sexualität zu treffen - Männer als "qua Geschlecht" triebgesteuert und unterdrückerisch, als "Feind" zu bezeichnen - damit wird also praktisch das negative Frauenbild der "Kirchenväter" auf die Männer angewandt -, und andererseits dieses negative Frauenbild gerade perpetuiert, indem nämlich bekundet wird, daß die Frau kein Recht habe, selbst darüber zu entscheiden, ob sie anderen Personen ins Auge fallen oder ihre körperlichen Reize im Bild zur Schau stellen will (vgl. dazu jeweils "Aussprüche und Zitate von wahren Christen", abgerufen am 22.06.2008).

Weiterhin scheint man bei ihrem Magazin "EMMA" der Meinung zu sein, daß Frauen, die sich in BDSM üben, keine "wahren Frauen" seien (vgl. Wikipedia: Emma (Zeitschrift), abgerufen am 06.07.2008). Auch diese Einschätzung entsteht aus der Akzeptanz und Fortführung der Vorstellung, daß die beiden Partner eines Geschlechtsaktes unterschiedliche Wertigkeiten hätten: Bereits im alten Griechenland hatte man den "empfangenden" Part, in der damaligen Vorstellung die Frau bzw. in homosexuellen Beziehungen den Mann, der die "empfangende Rolle" einnahm, als weniger wertvoll angesehen (). Christliche Autoren hatten die Vorstellung angewandt, um einen Unterschied in der Wertigkeit zwischen Frauen und Männern festzuschreiben. Schwarzers Argument zeigt, daß man trotz "Emanzipation" auch noch nicht viel weiter oder gar anders denkt. Auch die meisten Katholikinnen fühlen sich von diesem Frauenbild eher gekränkt, und sehen die Haltung der Kirche weder als lebensnah noch als sonderliche Hilfe für ihre Anliegen und Probleme an (vgl. Ebertz 2006, S.9f.). Dies dürfte dann aber auch für das Bild gelten, das Alice Schwarzer von den Männern und von Frauen impliziert, die deren (aber nicht allein deren) sexuelle Gelüste anregen.

"Emanzipation" kann man allerdings vergessen, wenn sie sich im Grunde von finsteren Vorstellungen aus Altertum und Mittelalter vereinnahmen läßt -- es letztlich nur darum geht, die "Vorherrschaft des Mannes" durch eine "Vorherrschaft der Frau" zu ersetzen, und sexuelle Selbstbestimmung muß sich auch auf die Spielarten der Sexualität erschließen, die Alice Schwarzer in ihrer persönlichen Einschätzung wesensfremd sind.

3.1.1.2 Pornographiekritik bei den Medienkritikern

Auch bei den verschiedenen Studien, die unternommen wurden, zeigen sich Einflüsse dieser moralischen Vorstellungen.

1. Insbesondere was das Internet angeht, differieren die Meinungen um den Gehalt an Pornographie außerordentlich stark. So wurden bereits in der Frühzeit des Internet (1995/1996) Anteile zwischen 0.5% und 83.5% pornographischer Internetseiten am gesamten Netz propagiert. Diese sehr unterschiedlichen Postulate können auch ideologische Gründe haben. Trotzdem sich das "Time Magazine", das letztere Zahl veröffentlich hatte, sich später korrigieren mußte - tatsächlich machten Pornoseiten wirklich nur etwa 0.5% der Inhalte des Internet aus - (vgl. Barak et al. 1999, S.66), ist diese Statistik mehr oder weniger weit verbreitet worden und wird noch heute im Rahmen von Argumentationen für die vermeintliche Schädlichkeit von Pornographie angebracht (vgl. etwa Heiliger 2005, S.6).

2. Medienkritiker betrachten Pornographie ggf. undifferenziert und sehen sie allgemein als eine Form von Gewalt und Entmenschlichung an. Als einen Grund für diese auch von ihm getroffene pauschale Betrachtung gibt Zillmann (1986) an, daß letztlich keine Grenzziehung zwischen akzeptablen und unakzeptablen Verhaltensweisen möglich sei und - selbst wenn sie im Film absolut konsensuell ist - somit eine bestimmte Verhaltensweise für den Einzelnen in seiner Wahrnehmung bereits unakzeptabel sein kann. Also seien Gewalt und Entmenschlichung letztlich der "Normalfall" bei Pornofilmen (vgl. Zillmann 1986, S.23f.). Auch Blandine Kriegel bezeichnet Pornographie letztlich als einen Spezialfall von Gewalt (vgl. http://www.vision2000.at/2003/vision1-03/24_03.htm; abgerufen am 06.09.2007), wie auch die "Panorama"-Redaktion (vgl. dazu die Darstellung über den "Hot Coffee Mod"). Eine analoge Argumentation hatte auch Christian Pfeiffer angebracht, als er forderte, daß sich die Jugendfreigabe nicht nach den medienerfahrenen, sondern nach den denkbar medienunerfahrensten Jugendlichen zu richten habe (vgl. ).

So ruft schließlich schon ein absolut zahmes Bild wie das legendäre "Lenna", eine Ablichtung der 1951 geborenen Schwedin Lena Söderberg, die es aus dem "Playboy" zu einer Referenz für die Beurteilung der Qualität von Bildverarbeitungsalgorithmen gebracht hat, wüste Kritiken hervor: Das Bild, das in der meistveröffentlichten Version gerade einmal den Kopf und eine freie Schulter zeigt, sei "provokativ", und es würde eine Frau schließlich zu einem Sexualobjekt einschränken. "So etwas" dürfe nicht veröffentlich werden (vgl. Hutchinson 2001). Dabei war die damals 21 Jahre alte Dame denkbar brav und äußerte damals, das Schönste, was sie sich vorstellen könne, sei mit ihrem Ehemann zusammenzusein, und sie träume von einem ganzen Stall voller Kinder (vgl. "Playmate Birthdays", abgerufen am 12.06.2008). Wenn drei Kinder "ein Stall voll" sind, dann hat sie das auch geschafft (vgl. Wikipedia: Lena Söderberg, abgerufen am 12.06.2008). Dies sind durchaus konservative Wertvorstellungen, heute heiratet man nur noch in sehr konservativen Kreisen in dem Alter. Jedenfalls aber zeigt dieses Beispiel deutlich, wie weit Eindrücke über Inhalte doch von Inhalten divergieren können.

3. Gerade bei der Pornographie ist ebenfalls auffällig, daß Gremien, die Studien produziert haben, in denen auf schädliche Wirkungen von Pornographie geschlossen wird, dies häufig nicht auf Basis wissenschaftlicher Befunde taten (vgl. Diamond+Uchiyama 1999).

a) So bestand die sogenannte Meese-Kommission, die von US-Präsident Ronald Reagan 1984 eingesetzt worden war, insbesondere aus Nicht-Wissenschaftlern, die von gewissen Einschätzungen ausgingen und diese durch entsprechende Expertenmeinungen und Interessenvertreter zu bestätigen suchten, während anderslautende Befunde weitgehend ignoriert wurden.

b) Das sogenannte Longford-Kommitee, das sich in Großbritannien gebildet hatte, argumentierte insbesondere auf der Basis der moralischen Einschätzung, daß Pornographie angeblich Frauen entmenschen würde bzw. Gewalt gegen diese sei und die Gesellschaft gegen solche Einflüsse geschützt werden müsse (s.o.).

4. Pornographie im allgemeinen hat allerdings eine andere Funktion als Medienkritiker anführen. Sie dient nicht dazu, ein Vorbild für etwaige Straftaten zu liefern, sondern wird zur Bedienung sexueller Phantasien eingesetzt (vgl. Kutchinsky 1992, S.53). Insbesondere stimmt auch die Behauptung nicht, daß pornographisches Material Frauen generell als unterwürfig darstelle. Eine Untersuchung von Soble, die sich auf sadomasochistische Pornographie (BDSM) bezog, zeigte auf, daß dort Männer häufiger in einer devoten Rolle zu finden sind als Frauen (vgl. Möller 2000).

3.1.1.3 Studien und Argumentationslinien von Medienkritikern

3.1.1.3.1 Zillmann (1986)

Zillmann (1986) kritisiert Erotika insbesondere aus moralischer Sicht, daß diese keine vermeintlich erwünschten gesellschaftlichen Werte darstellten und ihr Konsum entsprechend die Sicht auf diese gesellschaftlichen Werte verändere. Er begründet dies mit einer Studie, die von Zillmann und Bryant (1986) durchgeführt wurde. Dabei wurden verschiedene Gruppen von Testpersonen über einen Zeitraum von sechs Wochen in je einer Sitzung pro Woche (Gruppe 1) eine Stunde lang ein Pornofilm, (Gruppe 2) jeweils eine halbe Stunde lang ein Porno- und ein unverfänglicher Film und (Gruppe 3) eine Stunde lang ein unverfänglicher Film vorgeführt. "Häufige" Konsumenten von Pornographie würden "akzeptierte gesellschaftliche Werte" wie Ehe, Familie und Kinder dermaßen stark ablehnen (zu 61.2%, während Kontrollgruppen die Ehe als "unverzichtbare Institution" nur zu 40% ablehnten), daß diese akut gefährdet seien. Dies wird damit plausibel zu machen versucht, daß Pornofilme primär unverbindliche Begegnungen ohne emotionale Bindungen und eingegangene Verantwortungen darstellten. Dadurch würde außerdem die Akzeptanz vor- und außerehelicher Beziehungen und ungewöhnlicher Sexualpraktiken gefördert und nehme die Zufriedenheit der Testpersonen mit ihrem eigenen Sexualleben ab (vgl. Zillmann 1986, S.16-22).

Insbesondere erklärt Zillmann alle Studien, die eine negative Auswirkung des Konsums von Pornographie nicht belegen konnten, für mangelhaft (vgl. ebd., S.13-15). Auch er hält allerdings fest, daß "gelegentliche" Nutzer und/oder Nutzer ohne psychische Auffälligkeiten keine negativen Effekte erleben (vgl. ebd., S.27f.).

Allerdings bezeichnet Zillmann selbst die Studie nicht als repräsentativ, da eine große Anzahl an Testkandidaten sich zurückgezogen habe, nachdem ihnen der Inhalt des Experiments eröffnet wurde (vgl. ebd., S.16) bzw. auch abhängig von den Medieninhalten, die den Testpersonen gezeigt wurde. Entsprechend kann es sein, daß insbesondere viele Konservative, die eine eher restriktive Haltung gegenüber Sexualität im allgemeinen und/oder Pornographie im speziellen hegen, an dieser Studie gar nicht erst teilgenommen bzw. sie vorher abgebrochen haben und der "nachgewiesene Effekt" insbesondere deswegen so stark war, weil in der Testgruppe die "Liberalen" entsprechend stärker vertreten waren. Fraglich ist auch, ob ein Konsum von einer Stunde pro Woche über einen Zeitraum von sechs Wochen tatsächlich ausreicht um persönliche Werthaltungen dermaßen zu verschieben wie von Zillmann und Bryant propagiert.

3.1.1.3.2 Mathiak (2007)

Der Neurobiologe Klaus Mathiak argumentiert, daß diejenigen, die insbesondere beim Anblick von Gewaltpornos, bei denen Frauen "echte Schmerzen" empfängen, ein Lustempfinden hätten, dieses Lustempfinden nur dadurch erreichen könnten, daß sie die Empathie mit ihrem Opfer ausschalteten (vgl. Wüllenweber 2007c). Diese Abstumpfungsthese impliziert letztlich auch eine Entwicklung des Konsums hin von "normalen" zu immer härteren Materialien. Allerdings ist die Abstumpfungsthese nicht unumstritten. So konnte etwa Ertel (1990) eine solche Entwicklung nicht feststellen (vgl. Möller 2000).

3.1.1.3.3 Weitere Beispiele

In einer Dokumentation zum 80.Geburtstag des Sexualaufklärers Oswalt Kolle ("Sex für alle - Oswalt Kolle und die Deutschen", ARD, 10.11.2008) argumentierte N.N., das Vorhandensein der Medien hätte zu einer Verlagerung der Empfindungen geführt. Die Menschen würden nicht mehr ihre eigenen Empfindungen bei der Sexualität zu Wort kommen lassen, sondern auf sich selbst Beurteilungskriterien anwenden, die ihnen von Pornofilmen und ähnlichen Materialien vorgegeben würden. In der vergangenen Generation sei dies in diesem Maße nicht der Fall gewesen.

Allerdings ist die Loslösung der 68er-Generation in der Geschichte auch kein Normalzustand. Denn auch in der Vergangenheit wurde Sexualität auch immer von außen beurteilt. Ein vergangener Papst glaubte sogar, Menschen die "moralisch richtige Anzahl" an Kindern vorschreiben zu können, und noch immer gibt es Menschen, die darauf stolz sind, beim Sex nichts zu empfinden, weil dies von seiten des Opus Dei als moralische Norm vorgegeben würde (siehe dazu ).

3.1.1.4 Gegenstudien

1. Die Meta-Untersuchung der United States Commission on Obscenity and Pornography (1970)

Die Untersuchung der United States Commission on Obscenity (1970) bestand aus einer Meta-Untersuchung vorheriger Studien und 39 weiteren Untersuchungen, die von der Kommission selbst in Auftrag gegeben worden waren. Es wurden keine Beweise dafür befunden, daß der Konsum pornographischer Inhalte zu einer Steigerung der Kriminalität, insbesondere der Sexualkriminalität, führt. Im Gegenteil sah die Kommission eine zu restriktive Haltung gegenüber der Pornographie als problematisch an, daß es einen Zusammenhang zwischen einer restriktiven Erziehung bezüglich Sexualität und sowohl der Konsumdauer als auch der Werthaltung von Testpersonen gab: Sexualstraftäter stammten im allgemeinen aus Familien, die hinsichtlich der Sexualität sehr restriktiv waren, und diese Haltungen übernommen hatten. Sie hatten im allgemeinen während ihrer Jugend weniger Kontakt zu Pornographie als Altersgenossen und wiesen eine nicht altersgemäße Entwicklung ihrer Sexualität auf. Auch als Erwachsene war ihr Konsum von Pornographie nicht höher als der von nicht delinquenten Vergleichspersonen. Sexualstraftäter wiesen außerdem auch keine höhere Wahrscheinlichkeit auf, nach dem Konsum von Pornographie Sex zu haben als Nichttäter (vgl. Kutchinsky 1992, S.44).

Solche Untersuchungen zeigen allerdings, wie schwierig es manchmal ist, Untersuchungsergebnisse überhaupt zu interpretieren und einzuordnen. Daß nun eine verzögerte Entwicklung der eigenen Sexualität ggf. sogar krankhaft sein kann, hält beispielsweise die Medienkritiker auch nicht davon ab, auf Basis dieser Aussagen festzustellen, daß wer Pornographie konsumiere, früher sexuell aktiv werde (natürlich: kausal und nicht bloß korrelativ interpretiert), und "keinen Pornokonsum" entsprechend als das Idealbild zu formulieren.

2. Pornographie und Aggressivität

Erotika sollen dabei durchaus verschiedene Wirkungen haben. Nach einer Untersuchung von Donnerstein (1975) senken milde Erotika die Aggressivität, während härtere Pornographie sie steigere. Allerdings ist, wenn keine Gelegenheit zur Befriedigung der aufgebauten sexuellen Spannung gegeben wird und der Trieb unterdrückt werden muß, Aggression auch zu erwarten. Kann allerdings die Erregung, die sich aus dem Konsum ergibt, befriedigt werden, so stellt sich auch hier eine Senkung der Aggressivität ein (vgl. Möller 2000).

Kutchinsky (1992) geht davon aus, daß das Vorhandensein pornographischen Materials insbesondere hilfe, mit Frustrationen umzugehen, die unter gewissen Umständen zu Sexualstraftaten führen können (vgl. Diamond+Uchiyama 1999).

3. Pornographie und Werte

Ertel (1990) hält fest, daß durch den Konsum von Pornographie die Form der Partnerschaft und das sexuelle Bild des Partners nicht verändert wird. So unterscheiden sich selbst intensive Nutzer von Pornographie zum Beispiel hinsichtlich ihrer Promiskuität nicht von Vergleichsgruppen (vgl. ).

4. Pornographie und Kriminalität

a) Westeuropa und USA

Kutchinsky (1992) untersuchte die polizeilichen Kriminalstatistiken von drei europäischen Ländern, in denen Pornographie legalisiert wurde - Dänemark (1969), Schweden (1970) und Westdeutschland (1973) -, und der USA, in denen Pornographie illegal - gleichwohl verfügbar - blieb, zwischen 1964 und 1984. Der Vergleich der Kriminalstatistiken wies insbesondere für Schweden und Westdeutschland eine für den gesamten Zeitraum ziemlich konstante Rate an Vergewaltigungen auf, während im selben Zeitraum die Rate der Vergewaltigungen in den USA auf das 3.5fache stieg. Dabei gab es auch eine positive Korrelation der Vergewaltigungen mit Gewaltverbrechen. Dies ist allerdings klar, da eine Vergewaltigung auch ein Gewaltverbrechen ist. Allerdings führt Kutchinsky selbst den Anstieg in den USA eher auf ein verändertes Anzeigeverhalten, nachdem Pornographie auch in den USA stets verfügbar war (vgl. Kutchinsky 1992, S.46f.), bzw. auf eine Veränderung der Erfassungsmodalitäten für Sexualverbrechen zurück (vgl. Diamond+Uchiyama 1999).

Insbesondere ist für die europäischen Länder feststellbar, daß in Phasen, die von Liberalisierungen begleitet waren, was die Sexualität anging, die Zahl der Sexualverbrechen (sowohl Vergewaltigungen als auch nicht-gewalttätiger Sexualverbrechen) zurückging, während in Phasen rigiderer Herangehensweisen die Zahl der Sexualverbrechen stieg. Für Westdeutschland, wo die Kriminalstatistik feiner aufgelöst war, konnte festgestellt werden, daß seit der Legalisierung von Pornographie im Jahr 1973 gerade die Rate der Gruppenvergewaltigungen - also gerade jener Taten, die in "Frontal 21" und "Monitor" thematisiert wurden - fast beständig zurückging. Die genannten Effekte waren unabhängig von Veränderungen des Anzeigeverhaltens (vgl. Kutchinsky 1999, S.48-52).

b) Japan

Diamond und Uchiyama (1999) betrachteten die Entwicklung von Sexualstraftaten in Japan in den Jahren zwischen 1972 und 1995. In der gleichen Zeit fand in Japan eine deutliche Liberalisierung der gesetzlichen Regelungen zur Pornographie statt, was insbesondere die zulässigen Arten der Darstellung angeht. Dabei ist bezeichnend, daß Japan noch bis in den 1980er Jahre hinein sehr prüde war und auch Darstellungen in Materialien, die von Universitätsstudenten im Rahmen des Unterrichts verwendet werden sollten, zensiert wurden. Die Zensurvorschriften waren darüber hinaus nicht sehr durchsichtig, so daß zwar die Darstellung von Schamhaar zensiert wurde, nicht aber die Darstellung von sexueller Gewalt. Auch in Japan wird allerdings häufig als moralisches Argument gegen Pornographie angeführt, daß solche Darstellungen Frauen zu Objekten degradierten (vgl. Diamond+Uchiyama 1999).

Während des betrachteten Zeitraums gingen Vergewaltigungen um 68% zurück. Insbesondere Gruppenvergewaltigungen gingen erheblich zurück und waren am Ende des Betrachtungszeitraums nur noch sehr selten. Der Anteil der jugendlichen Täter ging während des Betrachtungszeitraums bei Vergewaltigungen um 45%, über alle Sexualstraftaten betrachtet sogar um 85% zurück. Die Rate sexueller Belästigungen blieb während des Zeitraums im wesentlichen konstant (vgl. Diamond+Uchiyama 1999).

3.1.1.5 Hypothesen zur Entstehung der "sexuellen Verwahrlosung"

[...]

Eine Hypothese, die in diesem Zusammenhang formuliert werden kann, schließt an die sog. Frustrations-Regressions-Hypothese an. In der klassischen Vorstellung etwa von Maslow sind Menschen durch Bedürfnisse charakterisiert, die sich hinsichtlich ihrer "Wertigkeit" (z.B. im Sinne einer Überlebensnotwendigkeit) charakterisieren lassen. Als in dem Sinne "überlebensnotwendiger" werden physiologische Bedürfnisse wie Nahrung, Wohnung, Kleidung und Sexualität angesehen, als "weniger überlebensnotwendig" zum Beispiel Wertschätzung und Selbstverwirklichung. Die Bedürfnisstruktur eines Menschen kann im Sinne der genannten Hypothese durch äußere Faktoren beeinflußt werden. Wird nämlich die Verwirklichung höherwertiger Bedürfnisse erschwert, wird die Realisierung der niederwertigen Bedürfnisse wichtiger und treibender, so auch das nach Sexualität (vgl. ). Zum Beispiel wird von verschiedener Seite "Hartz IV" als ein System kritisiert, das (vgl. Thießen+Fischer 2008b, S.).


Notizen:

Daß die ganze „Debatte“ um Pornographie doch primär mit moralischen Beurteilungen zu tun hat, macht zum Beispiel eine Betrachtung des Buches „McSex – De Pornoficatie Van Onze Samenlevin“ von Myrthe Hilkens (2008) deutlich. Darin wird etwa ausgeführt, daß mittlerweile Jugendliche Sex als „ganz gewöhnliches Tausch-, Macht- und Zahlungsmittel“ einsetzten. „Manche [täten es] schon für einen Drink“. Auch sei es zu Szenen gekommen, wobei sich weder die Täter noch die Opfer darüber im Klaren gewesen seien, daß es sich dabei um Vergewaltigung handelte (vgl. "Wider die Sexualisierung der Gesellschaft", abgerufen am 20.02.2009). Nun wie man dazu steht, ist da immer die Frage. Jedoch lassen sich auch etliche Beispiele finden, in denen die Gesetzgebung der Entwicklung der gesellschaftlichen Moral hoffnungslos hinterherlief. Heute kaum mehr verständlich sind Begriffe wie „Kuppelei“, wonach Eltern schon hätten bestraft werden können, wenn sie nicht unterbunden, daß ihre minderjährigen (damals noch: unter 21 Jahre alten) Kinder Sex hatten (vgl. Wikipedia: Kuppelei, abgerufen am 20.02.2009).

Hilkens machte natürlich auch wieder das neueste Medium, das Internet, als „leicht zugängliche Quelle für Pornographie“ für diese Entwicklung der Moral verantwortlich. Da aber die Autoren erst 30 Jahre alt ist, kann dafür nicht einmal die „Unwissenheit des Alters“ oder diffuse Angstgefühle angesichts Technologien, die man nicht versteht, für diese Einlassungen verantwortlich gemacht werden.

Quellen zu diesem Abschnitt:

Barak, Azy; Fisher, William A.; Belfry, Sandra; Lashambe, Darryl R., "Sex, Guys and Cyberspace: Effects of Internet Pornography and Individual Differences on Men's Attitudes Toward Women", in: Journal of Psychology & Human Sexuality, Vol.11(1)1, 1999, S.63-91

Diamond, Milton; Uchiyama, Ayako, "Pornography, Rape, and Sex Crimes in Japan", in: International Journal of Law and Psychiatry, Vol.22(1), 1999, S.1-22

Ebertz, Michael N., "Frauen und die katholische Kirche in Deutschland", in: Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), "Handbuch der Religionen", 12.EL, München:Olzog, 2006

Heiliger, Anita, "Zur Pornographisierung des Internets und Wirkungen auf Jugendliche. Aktuelle internationale Studien", in: Zeitschrift für Frauenforschung, 1+2/2005, S.131-140; Seitenzahlen nach URL

Hutchinson, Jamie, "Culture, Communication, and an Information Age Madonna", in: IEEE Professional Communication Society (PCS) Newsletter, Vol. 45(3), May/June 2001, S.1;5-7

Katechismus der katholischen Kirche (KKK)

Kutchinsky, Berl, "Pornography, Sex Crime, and Public Policy", in: Sally-Anne Gerull/Boronia Halstead (Hrsg.), "Sex industry and public policy", AIC Conference Proceedings No.14, Canberra: Australian Institute of Criminology, 1992, S.41-54

Möller, Erik, "Wirkung von Pornographie auf Jugendliche", 2000; URL http://www.scireview.de, abgerufen am 29.08.2007

Thießen, Friedrich; Fischer, Christian (2008b), "Die Höhe der Sozialen Mindestsicherung - Eine Neuberechnung 'bottom up'", in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Jg. 57(2), Stuttgart 2008, S.145-173; Seitenzahlen nach URL http://www.tu-chemnitz.de

Wüllenweber, Walter, "Sexuelle Verwahrlosung: Voll Porno!", in: stern 06/2007, abgerufen am 30.08.2007
(2007a), URL http://www.stern.de
(2007b), URL http://www.stern.de
(2007c), URL http://www.stern.de
(2007d), URL http://www.stern.de

Zillmann, Dolf, "Effects of Prolonged Consumption of Pornography", Surgeon General's Workshop on Pornography and Public Health, Arlington VA, 1986

 

letzte Aktualisierung: 10.11.2008