Ein Hauptargument, mit dem gegen gewalthaltige Medien argumentiert wird, ist die angebliche Zunahme der Gewalttätigkeit und Kriminalität, die oft vorgeblich den Inhalten, damit aber häufig auch dem Medium an sich zugeschrieben wird.
2.1.2 Centerwall (1980er Jahre)
Ende der 1980er Jahre untersuchte Centerwall die Entwicklungen der Mordraten in verschieden Ländern und setzte diese in Beziehung zur Einführung des Fernsehens in diesen Ländern. Centerwall fand jeweils für die USA, Kanada und Südafrika, daß sich innerhalb von 15 Jahren nach der Einführung des Fernsehens die Mordrate verdoppelt hatten. Er folgerte daraus, daß entsprechend die Hälfte aller Morde durch den Fernsehkonsum verursacht worden sei. Allerdings weist diese Studie verschiedene methodische Schwierigkeiten auf (vgl. Kunczik+Zipfel 2004, S.208-210; Rhodes 2001, S.3f.):
a) Im Rahmen der Studie war ein zu kurzer Zeitraum betrachtet worden. So war die Kriminalitätsrate einige Jahrzehnte vor der Einführung des Fernsehens erheblich höher gewesen.
b) Für andere Länder konnte die These von Centerwall gar nicht bestätigt werden, gab es dort nicht einmal einen korrelativen Zusammenhang zwischen der Einführung des Fernsehens und einem Anstieg der Jugendgewalt. Eine scheinbare Bestätigung von Centerwalls These in Europa konnte darauf zurückgeführt werden, daß nach dem damals üblichen Erfassungsprozedere versuchte und vollendete Morde in der Statistik zusammengefaßt wurden. In Deutschland, Frankreich und Japan war ansonsten keine Zunahme oder gar eine Abnahme der tatsächlichen Mordrate festgestellt worden. Die Japaner sehen dabei erheblich mehr fern als sogar noch die US-Amerikaner (vgl. Diamond+Uchiyama 1999). Centerwall argumentierte allerdings damit, daß bestimmte kulturelle Bedingungen, was etwa den Umgang mit Aggressionen angeht, die Auswirkungen des Fernsehens überlagern könnten.
c) Centerwall hatte von einer Korrelation auf eine Kausalität gefolgert, indem er seine Argumentation auf Studien aufbaute, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Medienkonsum und gewalttätigem Verhalten zumindest nahelegten. Diese Untersuchungen waren allerdings einerseits selbst methodisch mangelhaft und andererseits auf den Sachverhalt nicht adaptierbar.
d) Schließlich hatte Centerwall selbst ein Modell verwendet, das einen strikt kausalen Zusammenhang bereits implizierte. Im Rahmen einer multivariaten Analyse, die weitere Einflußgrößen mit einbezog, ergab sich entsprechend kein Einfluß des Fernsehens auf die Entwicklung der Mordrate. Verschiedene Faktoren wie etwa die Rate der Ehescheidungen oder der Alkoholmißbrauch scheinen in diesem Zusammenhang wesentlich relevanter für die Erklärung der Gewaltkriminalität zu sein.
So hatte Centerwall etwa die Entwicklung der Bevölkerung ignoriert. So kann bereits die durch den sogenannten "Babyboom", der zwischen 1947 und 1964 zu einer Zunahme der Geburtenrate führte, als Erklärung für die zunehmende Gewalt dienen. Da Gewaltdelikte vorwiegend von jungen Männern begangen werden, war es entsprechend zu erwarten, daß die Zahl der Straftaten allein deshalb zunehmen würde, weil die Zahl der jungen Männer zunahm. Nachdem die "Babyboom"-Generation das Alter von 30 Jahren überschritten hatte, ging entsprechend die Kriminalitätsrate zurück. Auch im Zeitablauf war trotz zunehmender Verfügbarkeitsdauer von Fernsehen und Computerspielen die Zahl der Gewaltverbrechen erheblich zurückgegangen und lag im Jahr 2002 um 53% niedriger als 1973 (vgl. Heinz 2004, S.8), die Mordrate ging zwischen 1993 und 2006 sogar um 77% zurück (vgl. Sternheimer 2007, S.13).
Olson (2004) führte einen zwischenzeitlichen Anstieg der Gewalt unter afroamerikanischen Jugendlichen in den USA auf die unter ihnen zwischenzeitlich zunehmende Verbreitung von Schußwaffen zurück (vgl. S.). Zumindest in Südafrika fand aber zum von der Studie betrachteten Zeitraum auch ein erheblicher Anstieg der Verbreitung von Schußwaffen unter den Weißen statt, weil sich die Weißen akut von den im Apartheid-Staat unterdrückten Schwarzen bedroht fühlten, die für sich teilweise auch mit militanten Mitteln gleiche Rechte forderten (vgl. Berg 1977).
2.2 Computerspiele
Im folgenden sollen sowohl Ergebnisse verschiedener Metauntersuchungen als auch interessante Einzelergebnisse dargestellt werden.
2.2.1 Mögliche Unterschiede zwischen Fernsehen und Computerspielen
Zum Teil werden allerdings alle Medien, die ja in irgendeiner Form benutzt werden, als "interaktiv" angesehen, so daß dieser Begriff nicht unbedingt ein Unterscheidungskriterium sein könne (vgl. Buerger 2007, S.637).
2.2.2 Metauntersuchungen
2.2.3 Anderson+Dill (2000)
Anderson+Dill reklamierten, sie wollten speziell die Wirkung von Gewaltdarstellungen in Computerspielen nachweisen, und suchten daher zwei Spiele zum Vergleich aus, die sich ihrer Aussage nach nur im Gewaltgehalt, nicht aber hinsichtlich anderer Kriterien wie Schwierigkeitsgrad, Frustration oder Spielgeschwindigkeit unterschieden. Dabei kamen sie sinnigerweise auf einen Vergleich zwischen den Spielen "Myst" und "Wolfenstein 3D" (vgl. Williams 2006b, S.4).
a) Im ersten Schritt wurden zunächst diese Spiele gespielt. Danach wurden die mit Hilfe standardisierter Bewertungsmodelle auf eigene aggressive Empfindungen wie auch auf Ängste untersucht, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen (vgl. o.V. 2007c, S.6). Daneben wurde auch der Spielekonsum, etwaige vorangegangene Delinquenz der Studenten und die Studienleistungen betrachtet. Hier wurden signifikante Korrelationen zwischen dem Spielen und aggressiver Delinquenz (r=0.46), nicht-aggressiver Delinquenz (r=0.31) und der Aggressivität an sich (r=0.22) und zwischen der mit der Spieldauer und den Studienleistungen (r=-0.20) gefunden. Allerdings dürfte klar sein, daß diese Korrelationen nicht ohne Weiteres kausal gedeutet werden können (vgl. Wagner 2007, S.8). Insbesondere die im Vergleich zur Korrelation zwischen Spielen und Aggressivität sehr viel größere Korrelation zwischen Spielen und Delinquenz deutet ggf. darauf hin, daß hier ein Selektionseffekt dokumentiert wurde.
b) Im zweiten Schritt wurden dann die Reaktionszeiten der Spieler gemessen. Dazu wurde ihnen aufgetragen, sofort nach Erscheinen eines Wortes auf dem Bildschirm dieses laut auszusprechen, und die Reaktionszeit auf das Erscheinen von Worten erfaßt. Ein Wort, bei dem eine niedrigere Reaktionszeit festgestellt wurde, wurde dabei als "gedanklich naheliegender" eingestuft. Die Spieler, die das "aggressivere" Spiel gespielt hatten, reagierten schneller als die Spieler, die das "nichtaggressive" Spiel gespielt hatten, und wurden entsprechend deswegen als "aggressiver" bewertet (vgl. o.V. 2007c, S.6).
c) In einem letzten Schritt trugen die Spieler ein simuliertes Duell mit einem (tatsächlich nicht existenten) Partner aus. Dieses bestand darin, daß die zwei Spielpartner in ihrer Reaktionszeit auf ein Signal verglichen wurden. Wer schneller reagierte, erhielt die Möglichkeit, seinem Gegner einen Ton in einen Kopfhörer einzuspielen, der nach Dauer und Lautstärke variiert werden konnte. "Wolfenstein 3D"-Spieler reagierten im Schnitt 17% heftiger und ließen sich leichter provozieren als "Myst"-Spieler. Daraus wurde gefolgert, daß gewalthaltige Spiele die kurzfristige Aggressivität im Denken erhöhen sollen (vgl. Wagner 2007, S.8f.). Allerdings bezweifeln Kunczik+Zipfel (2006), daß ein solches - wenn auch anscheinend einigermaßen standardisiertes und von vielen Wissenschaftlern verwendetes - Experiment tatsächlich so etwas wie die "Aggressivität" erfassen kann (vgl. ).
Ansonsten hatte diese Studie einige Mängel und zeigt eher, daß sich die Untersuchenden mit den Spielen kaum auseinandergesetzt hatten. So unterscheiden sich "Wolfenstein 3D" und "Myst" nicht nur hinsichtlich ihres Gewaltgehaltes, sondern auch hinsichtlich des Aktivierungsgrades, den der Spieler beim Spiel erfährt. "Myst" ist ein bedachtsames Rätselspiel, das vom Spieler letztlich in der von ihm gewünschten Geschwindigkeit gespielt werden kann, während "Wolfenstein 3D" den Spieler durchaus in hektische Situationen - nämlich: in Kampfsituationen - bringen kann, wobei also die Geschwindigkeit des Spielers letztlich vom Spiel bestimmt wird. Tatsächlich zeigten andere Untersuchungen, daß Testpersonen abhängig vom Aktivierungsgrad, aber unabhängig vom Gewaltgehalt einer Darstellung von dieser gleichermaßen erregt wurden (vgl. Rhodes 2001, S.2; Lauble 2007; "Nichtspielen ist ein Zeichen fehlender Sozialkompetenz", abgerufen am 08.05.2008).
2.2.4 Möller+Krahé (2004)
Möller und Krahé führten eine Längsschnittstudie mit 237 Jugendlichen aus Deutschland durch, die im Abstand von sieben Monaten zweimal befragt wurden. Hierbei wurde zunächst mit Hilfe eines Kreuzpfadmodells ein statistisch signifikanter Wirkungseffekt (In einer weiteren Untersuchung körperlicher und psychologischer Zeichen verglichen Brady+Matthews die Auswirkungen des Konsums des als gewalthaltiger angesehenen "Grand Theft Auto III" und von "The Simpsons: Hit and Run" (vgl. Brady+Matthews 2006, S.343). Dabei wurde festgehalten, daß Testpersonen, die "Grand Theft Auto III" gespielt hatten, stärkere Veränderungen im Blutdruck (r = 0.22), mehr negative Empfindungen wie Angst, Depression oder Ärger (r = 0.24), eine größere Akzeptanz für Alkohol (r = 0.24) und Marihuana (r = 0.27) und wahrscheinlicher ein unkooperatives Verhalten in einem Spiel mit einem simulierten Partner zeigten (r = 0.21) (vgl. ebd., S.344 und Tabelle 1).
Die Veränderungen im Blutdruck wurden allerdings durch die Gewalterfahrungen moderiert, die Testpersonen in ihrem Lebensumfeld gewonnen hatten. So wirkte sich das Spielen "GTA III" im Vergleich zu "The Simpsons" im wesentlichen nur stärker auf den Blutdruck und die feindselige Attribution der Testpersonen aus, die in einem eher gewalttätigen Umfeld lebten (vgl. ebd., S.345f.). Dies entspricht einer These von der Wahrnehmung von Medien, daß Konsumenten letztlich die Aspekte ausblenden, die für ihr Lebensumfeld keine Bedeutung haben (vgl. Wurm 2006, S.44).
Die Einstellungen der Testpersonen zum Drogenkonsum und zum ungeschützten Sex waren im Mittel noch immer vergleichsweise ablehnend (vgl. ebd., S.345, Tabelle 3). Ansonsten gab es keinen Zusammenhang zwischen dem Spielekonsum und der Unterstellung feindseliger Absichten in uneindeutigen Situationen (r = 0.05) oder der Akzeptanz von Gewalt als Handlungsalternative (r = -0.01) (vgl. ebd., S.344, Tabelle 1). Bei der Kontrolle von Kovarianzen (d.h. von Zusammenhängen zwischen den als unabhängig angenommenen Einflußgrößen) verschwand auch der Zusammenhang zwischen dem gespielten Spiel und dem Vorhandensein negativer Befindlichkeiten (vgl. ebd., S.346).
Im Rahmen der Kategorie "Vorherige Erfahrung mit Computerspielen" wurden im Rahmen der Studie auch gewisse langfristige Effekte des Konsums erfaßt. Diese unterscheiden sich in etlichen Kategorien recht deutlich von den kurzfristigen Effekten: Personen, die bereits größere Erfahrungen mit Computerspielen besitzen, unterstellen in uneindeutigen Situationen weniger wahrscheinlich feindselige Intentionen (r = -0.12), befürworten weniger häufig Gewalt als Handlungsalternative (r = -0.13), zeigen nach dem Spielen weniger wahrscheinlich negative Empfindungen (r = -0.15) und wahrscheinlicher ein kooperatives Verhalten im Partnerspiel (r = -0.15) (vgl. ebd., S.345, Tabelle 2).
Als ein weiterer langfristiger Effekt von Computerspielen wurde eine größere Akzeptanz von Marihuana genannt (r = 0.20, vgl. ebd., S.345, Tabelle 2). Dies reichte Medienkritikern aus, Computerspiele als "Einstiegsdroge" zu bezeichnen (vgl. ), obwohl die grundsätzliche Akzeptanz nichts über den eigenen Konsum aussagt. Auch schränken die Autoren selbst die Aussagekraft ihrer Studie dahingehend ein, daß nicht geklärt werden kann, welche Unterschiede in den Charakteristika der betrachteten Computerspiele - so wurde "GTA III" von den Testpersonen als aufregender und schneller angesehen als "The Simpsons", und nahm der Spieler im in "GTA III" gespielten Szenario auch eine eher negative Haltung gegenüber Drogen ein - für Unterschiede in der Beurteilung verantwortlich sind (vgl. Brady+Matthews 2006, S.343+346).
Sehr häufig unterscheiden Studien, die sich mit Wirkungen von Computerspielen beschäftigen, einfach binär zwischen "nicht gewalthaltigen" und "gewalthaltigen" Spielen (vgl. etwa Anderson+Dill 2003, s.o.). Eine Untersuchung, in der eine feinere Abstufung gewählt wurde, wurde von Derek Scott (1994) unternommen. Dabei wurden 117 Testpersonen - Studenten, der Großteil davon Frauen - auf drei Gruppen aufgeteilt, die je nachdem das nicht gewalthaltige "Tetris", den als "mittelmäßig gewalthaltig" eingestuften Vertikalscroller "Overkill" und das "sehr gewalthaltige" Kampfspiel "Fatal Fury" spielten. Vor und nach dem Spiel wurde jeweils ein Test durchgeführt, mit dem die Aggression der Testpersonen erfaßt wurde, und diese Werte miteinander verglichen.
Scott hatte zunächst einen linearen Zusammenhang zwischen dem Grad der Gewalthaltigkeit des Spiels und der Steigerung des Aggressionsniveaus angenommen. Im Ergebnis zeigte sich allerdings, daß das Spielen des "mittel gewalthaltigen" Spiels das Aggressionsniveau der Spieler sogar deutlich verringert, das Spielen des "sehr gewalthaltigen" Spiels aber einen ähnlichen Effekt hatte wie das Spielen des nicht aggressiven Spiels. Im allgemeinen konnte jedoch schließlich kein "substantieller" Zusammenhang zwischen dem Gewaltgehalt des Spiels und dem Aggressionsniveau der Spieler gefunden werden. Weiterhin zeigte die Untersuchung auf, daß je größer die Erfahrung eines Spielers, um so geringer die Steigerung seines Aggressionsniveaus war. Daraus läßt sich für die Imitationsthese folgern, daß es, je erfahrener ein Spieler ist, ebenfalls um so unwahrscheinlicher wird, daß durch Spiegelung in der virtuellen Welt ausgeführte Handlungen in die reale Welt übernommen werden (vgl. Watkins 2007, S.21-23;25f.).
Diesen Effekt könnte man nun auch als Abstumpfungseffekt gegenüber Gewaltwerten. Das wäre allerdings auch nicht unbedingt fair, da es sich hier ja um einen Effekt handelt, der offenbar vor möglichen eigenen Gewalthandlungen schützt. Wenn die Medienkompetenz, d.h. auch die Erfahrung mit Inhalten fehlt, was z.B. Spitzer als "Idealzustand" ansieht (siehe ), wäre dies möglicherweise problematischer.
In einem Versuch im Jahr 2001, den Anderson und Bushman - weitere "Autoritäten" der Medienkritik - durchgeführt hatten, wurden Versuchspersonen, denen wahlweise ein aggressiver, ein neutraler und ein prosozialer Inhalt vorgelegt worden waren, nach dem Konsum dazu aufgefordert, bestimmte kleine Geschichten, die typische Situationen darstellten, fortzusetzen. Dabei wurde kein signifikanter Unterschied im Anteil aggressiver Fortsetzungen von Geschichten festgestellt, egal welches Spiel die Versuchspersonen zuvor gespielt hatten. Jedoch setzten Spieler, die einen prosozialen Inhalt gespielt hatten, die Geschichten häufiger mit prosozialen Äußerungen fort als die Spieler von aggressiven oder neutralen Inhalten (vgl. Narvaez+Metton 2006, S.2-4).
Eine Replikationsstudie von Narvaez+Metton (2006), bei der die Wirkungen verschiedener Szenarien im Computerspiel "Neverwinter Nights" miteinander verglichen wurden, zeigte ganz ähnliche Effekte: Es bestand kein nennenswerter Unterschied im Denken zwischen Spielern bestand, die einen gewalthaltigen (Banditen jagen) oder einen neutralen Inhalt (Gold einsammeln) gespielt hatten, während andererseits Spieler, die einen prosozialen Inhalt (Kranke versorgen) gespielt hatten, seltener aggressive und häufiger prosoziale Antworten gaben (vgl. ebd., S.5).
Nun meinen Narvaez+Metton weiter, daß bereits durch das Spielen "an sich" aggressive Vorstellungen vorbereitet würden (vgl. ebd., S.5). Allerdings kann dies nicht ohne Einbeziehung einer Kontrollgruppe geklärt werden, die nicht gespielt hat. Als signifikantes Ergebnis verbleibt hier nur, daß aggressive Inhalte nicht zu einem aggressiveren Verhalten oder Denken im Vergleich zu neutralen Inhalten führen.
Es gibt Hinweise darauf, daß die Wirkung, die Medien haben, sehr von dem Kontext des Medienkonsums abhängen. Dabei müssen die Medien selbst nicht einmal eine bestimmte Aussage vermitteln, sondern diese Aussage mag in sie hineininterpretiert werden. So wird etwa für die "Sesamstraße" festgehalten, daß das Anschauen auf Kinder, deren Mütter liebevoll zu ihnen sind und ggf. die Möglichkeit zur Reflektion über das Gesehene anbieten, eine positive Wirkung hat. Andererseits wirkt aber selbst diese gewaltfreie Kindersendung eher negativ auf Kinder, deren Mütter eher streng sind. Insgesamt ist die Wirkung eines Mediums um so stärker, je eher der Medieninhalt mit den Gegebenheiten der Lebensumwelt übereinstimmt (vgl. Moras 2004, S.9).
Mercy et al. (2002) verweisen auf eine Metaanalyse von Paik+Comstock (1994), die 217 Studien zu den Einflüssen der Mediengewalt aggregierte, die zwischen 1957 und 1990 veröffentlicht worden waren. Die darin untersuchten Querschnittsstudien zeigten eine um so geringere Korrelation zwischen dem Konsum und letztlichen Gewalttätigkeiten, je schwerer die Gewalttaten waren. Für schwerwiegende Formen "wie tätlichen Angriff oder Mord" war ein Zusammenhang kaum noch statistisch relevant (r=0.06) (vgl. Mercy et al. 2002, S.39).
Eine Studie von Ladenthin und et. (2007) dokumentierte augenscheinlich, daß die Medien, die Mädchen und Jungen konsumieren, ihre Vorstellungswelten prägen. So hätten 12-14jährige, die einen Märchenanfang fortsetzen sollten, in dem eine Hexe eine Prinzessin entführt hatte, deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede gezeigt: Mädchen hätten Geschichten geschrieben, die auch Seifenopern entsprungen sein konnten, während Jungen häufig sehr blutige Geschichten schrieben. Die Autoren jener Studie bezeichneten die Ergebnisse als "schockierend[.]" (vgl. www.bonnaparte.de, abgerufen am 02.12.2007).
Allerdings ist fraglich, ob Märchengeschichten für 12-14jährige noch so interessant und relevant sind, daß sie sich nicht einen Spaß daraus machen, die Überprüfer zu schockieren (insbesondere, da sie bereits in einem Alter sein mögen, ). Schließlich mag - wie bei allen Selbstberichten - ein Interesse bei den Antworten mitschwingen, sich als besonders "weiblich" oder insbesondere "männlich" darzustellen. Ein Junge, der sich hier als übermäßig sensibel darstellte, mag dadurch etwa seine Anerkennung unter den anderen Mitgliedern der Klasse schmälern. Andererseits ist diese geschlechtsspezifische Trennung der Vorstellungswelten wohl auch historisch: So wurden letztlich von Beginn an Mädchen auf Tätigkeiten in Haushalt und Familie vorbereitet, während Jungen zu tapferen Soldaten erzogen werden sollten und entsprechend mit Helden- und Abenteuergeschichten versorgt wurden.
Zum Teil sind diese Vorstellungen möglicherweise auch unbewußt. Dazu sei der sogenannte "John/Joan-Fall" erwähnt. Dabei handelte es sich um den Versuch, einen durch einen medizinischen Behandlungsfehler im Alter von sechs Monaten verstümmelten Jungen als Mädchen aufzuziehen (vgl. Wikipedia: David Reimer, abgerufen am 02.12.2007). Es wird berichtet, daß das Kind sich instinktiv dagegen wehrte, Mädchenkleider zu tragen oder sich "wie eine Frau" zu verhalten (vgl. NOVA: "Sex: Unknown", abgerufen am 02.12.2007).
Die Untersuchung von Narvaez+Metton hilft auch, eine weitere Frage zu beantworten, nämlich danach, ob Aggressionen nun erlernt oder verlernt werden. Wenn tatsächlich aggressive Inhalte keine andere Wirkung haben als neutrale Inhalte, während aber prosoziale Inhalte zu einer Verringerung der Aggressivität führen, liegt nun eher die letztere der beiden Sichten nahe: In der Interpretation von Tremblay (2002) wird nun tatsächlich Gewalt verlernt, d.h. Situationen erlernt, in denen die Anwendung von Gewalt nicht zielführend ist und daher unterlassen werden soll (vgl. S.).
Der Mensch ist nach Lorenz ein Wesen, das nicht ohne Aggressivität und Gewalt existieren kann (vgl. ). Diepold+Czierpka (1997) halten fest, daß wenn der Mensch sich einmal nicht gewalttätig verhält, dies weniger aus Kultur geschehe als vielmehr aus Ermüdung gegenüber der Gewalt (vgl. ). Überhaupt demonstriert das Verhalten von Menschen, die sich akut oder latent bedroht fühlen, daß die Zivilisation und die Menschenrechte auch nur eine dünne Schicht bilden, die all zu leicht abgetragen werden kann.
Wenn nun aber Gewalt letztlich immer vorhanden und ein Wesensmerkmal des Menschen ist, dann ist es sinnvoll, ein Ventil zu suchen, in dem diese Gewalt letztlich abgearbeitet werden kann. Nun könnte man einwenden wollen, daß ein Aggressionsabbau im Sinne einer Katharsis nur unter bestimmten Bedingungen auftreten kann, die in der Praxis kaum auftreten, und auch, daß ein aggressiver Mensch durch Sport, insbesondere wenn er mit dem Ziel antritt, sich dadurch abzureagieren, nur noch aggressiver werde. Andererseits wird nun Sport, auch aggressiver "Sport" wie Boxen oder Jagen, sinnigerweise als ein Mittel zur "Ertüchtigung" angesehen (vgl. ), mindestens aber als ein Weg, Gewalt in unschädlicher Form abzureagieren. Nähme man nun ein Ventil, so hieße das, die durchschnittliche Gewalt eher zu steigern (siehe "Brutalisierung durch Medienkritiker", "Auswirkungen von Verboten").
Sherry (2001) nahm aufgrund der im Laufe der Jahre höheren Korrelation zwischen Computerspielkonsum und Aggressivität an, daß die technische Qualität einer Darstellung eine Bedeutung für die letztliche Auswirkung - etwa für die erzeugte Aggressivität - habe. Je besser diese sei, um so höher sei entsprechend die zu erwartende Wirkung (vgl. ).
Auch die Leistungsfähigkeit der verwendeten Hardware soll einen Ausschlag geben. Bekanntermaßen wirkt die Qualität der Darstellung sowohl auf die Ergonomie der PC-Benutzung als solche als auch bei Spielen im speziellen auf den Spielspaß und die Immersion. N.N. halten etwa fest, daß je höher die Bildwiederholrate sei, (vgl. ).
Allerdings gibt es auch die gegenteilige Position, daß niedrige Bildwiederholraten bei der Darstellung zu negativen körperlichen Befindlichkeiten und Aggressivität führen können (vgl. Halbwachs 2000). Bei einem Experiment von Schmid (2005) wurden die Empfindungen von Zuschauern des Films "Matrix" miteinander verglichen, die einen Ausschnitt aus dem Film entweder in Kinoqualität oder in verringerter Qualität auf dem Bildschirm eines Laptops angesehen hatten. Dabei wurde festgestellt, daß die Versuchspersonen, die die Szene in Kinoqualität angesehen hatten, die dargestellten Szenen tatsächlich als weniger realitätsnah ansahen, emotional und kognitiv weniger beteiligt waren und sich weniger stark mit dargestellten Figuren identifizierten als die Versuchspersonen, die sie in verringerter Qualität angesehen hatten. [Die erstere Gruppe empfand die Szene allerdings als spannender als die letztere] (vgl. S.31f.). Dieses Ergebnis ist vielleicht aber deswegen nennenswert, weil gerade die Identifikation mit dem Dargestellten als ein Risikofaktor formuliert wurde, der eine Übertragung der gesehenen und vermeintlich "eingeübten" Handlungsweisen erleichtere (vgl. Kunczik+Zipfel 2004, S.33+160). Das Experiment entspricht allerdings nicht vollauf wissenschaftlichen Anforderungen, weil andere Bedingungen nicht kontrolliert wurden und nur insgesamt fünf Personen teilnahmen (vgl. Schmid 2005, S.33).
Auch Studien zur Aktivität des Gehirns bei Computerspielern liefern bei weitem nicht die eindeutigen Ergebnisse, wie sie etwa Manfred Spitzer wünscht und propagiert (siehe I.2.2.1).
Kawashima (assoziiert mit dem "Gehirnjogging"?) ist eher computerspiel-skeptisch. Im Jahr 2001 verglich er die Gehirnaktivität beim Computerspielen und beim Lösen einfacher Rechenaufgaben miteinander mit Hilfe von radioaktiven Kontrastmitteln und Magnetresonanztomographie. Danach sollen Computerspiele nur jene Teile des Gehirns stimulieren, die mit optischer Wahrnehmung und Bewegung assoziiert sind, während der Frontallappen, der mit Lernen, Merkfähigkeit, Selbstkontrolle und Gefühlsempfindung assoziiert ist, nicht angeregt werde. Wenn im Kindesalter - seine Entwicklung ist etwa im Alter von 20 Jahren abgeschlossen - der Frontallappen nicht stimuliert werde, könne dies entsprechend zu einem Verlust von Selbstkontrolle und zu späterem aggressivem Verhalten führen. Dieses sei allerdings nicht auf eventuelle aggressive Inhalte in Spielen zurückzuführen. Ähnlich ist Mori (2002) der Meinung, daß regelmäßiges Spielen von Computerspielen die Gehirnaktivität dauerhaft herabsetze und so zu Konzentrationsverlust, erhöhter Aggressivität und Problemen im Sozialverhalten führe. Die Muster der Gehirnaktivität, die regelmäßige Spieler zeigten, seien am ehesten mit denen von Patienten mit einer schweren Demenz vergleichbar. Mori meint, Videospiele strengten das optische Nervensystem zu sehr an, wodurch Rationalität, Moral und Selbstkontrolle leiden sollen. In der Folge würden regelmäßige Videospieler auf Gefahrensituationen in der Realität ungewöhnlich reagieren. Dadurch werde die "moralische Integrität der Gesellschaft" gefährdet (vgl. Volko XXXX).
Allerdings sind viele der Ergebnisse nicht eindeutig. So könnten Veränderungen der Aktivität einfach ein Zeichen von Ermüdung sein (vgl. Volko XXXX). Weiterhin entsprechen die Aktivitätsmuster vermeintlich "abgestumpfter" Gehirne zum Beispiel denen, wie sie Verliebte zeigen (vgl. Bösche+Geserich 2007, S.56).
2.3.x.2 fMRI-Untersuchungen
Auch in Kreisen der Medienkritiker diskutiert (vgl. Murray 2008) wird eine Studie von Weber, Ritterfeld und Mathiak (2006). Darin wurden bei 13 computerspielerfahrenen Universitätsstudenten während des Spieles eines Egoshooters physiologische und mit Hilfe eines fMRI-Scanners auch die Aktivitäten des Gehirns erfaßt. Die Spielpartien wurden aufgezeichnet und später bildweise nach der auf dem Schirm erscheinenden Gewalt analysiert und zu den physiologischen und mentalen Reaktionen zu diesen Zeitpunkten in Beziehung gesetzt.
Im Zuge der Analyse wurde festgestellt, daß während des Spielens in den Gehirnen der Spieler weitgehend die gleichen Aktivitätsmuster auftraten wie in Personen, die aggressive Gedanken hatten oder sich aggressiv verhielten. Die Aktivität des anterior cingulate cortex (ACC) in aggressiven Situationen wertete Murray (2008) als Hinweis darauf, daß beim Spielen eine Trennung von Denken und rationalem Handeln auf der einen und emotionalem Empfinden auf der anderen Seite stattfinde, und daß entsprechend durch wiederholtes Spielen ein Abstumpfungseffekt gegenüber Gewalt auftreten könne (vgl. S.1). Tatsächlich hatten die Spieler angegeben, daß sie sich während des Spiels sehr stark auf die Erreichung des Spielziels konzentriert hatten. Weiterhin bedeuten ähnliche Aktvitätsmuster z.B. nicht, daß ein Spieler auch die gleichen Empfindungen hat wie eine Person, die in der Realität in eine gewalttätige Situation gerät. So kann es etwa möglich sein, daß Spieler sich möglicherweise aus Furcht - nämlich ggf. davor, das Spiel zu verlieren - in virtueller Gewalt ergehen, nicht aber aus Wut.
Eine bildgenaue Analyse erlaubt es auch, das Maß an Aggression bestimmten Spieleraktionen zuzuordnen. Zum Beispiel wurde für eine "friendly-fire"-Situation, in der ein Spieler einem Teammitglied in den Rücken schoß (Shooter könnten entsprechend konfiguriert werden, daß "friendly fire" keinen Schaden verursacht), um ihn zu einem bestimmten Verhalten zu bringen - oder selbst, wenn dies aus Frustration geschah -, gezeigt werden, daß sich die Aktivitätsmuster deutlich von denen unterschieden, die in einer aggressiven Situation auftreten (vgl. Watkins 2007, S.24-26).
2.3.x.3 Positive Ergebnisse
Ansonsten gibt es aber auch Studien, die positive Ergebnisse zeigen. Pope führte einige Versuche durch, die positive Effekte bei der Behandlung von Personen demonstrierten, die an ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit- und Hyperaktivitätsstörungen) leiden. Dazu wurden die Gehirne der Kinder mit Hilfe von Videospielen in die Situation versetzt, ihre Aktivität selbst zu regeln anstatt daß dafür Medikamente notwendig waren. Als ein anderer Einsatz für die entsprechende Methode könnte die Verarbeitung von Streßsituationen gesehen werden. Durch diese Methode würden außerdem die Konzentrationsspanne, der Intelligenzquotient und die Lese- und Merkfähigkeit verbessert (vgl. Volko XXXX). Auch eine Studie von Bryce zeigte deutlich höhere Koordinations- und Konzentrationsfähigkeiten bei Computerspielern, die zum Teil das Niveau von speziell trainierten Spitzensportlern oder Astronauten erreichten (vgl. Kraft 2003, S.21).
Zumindest aber befinden selbst andere Medienkritiker, daß es keinen belegten direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von Computerspielen und ADHS gibt (vgl. "Kinderpsychiater Dr. Max H. Friedrich im Multitext-Interview", abgerufen am 11.10.2008).
2.3.x Möglichkeiten zum Realitätsverlust durch Medien?
Es seien hier vier Beispiele genannt. Das früheste Beispiel für einen solchen Realitätsverlust ist das Hörspiel "Broadcasting from the Barricades" von Ronald Knox aus dem Jahre 1926, in dem vermeintlich von bürgerkriegsartigen Zuständen in der Hauptstadt London berichtet wurde. Vielen Menschen, die nicht gehört hatten, daß es sich dabei um eine "Satire" handelte, erschien es durchaus plausibel, daß die geschilderten Ereignisse wirklich stattgefunden hatten, da zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich ein Generalstreik drohte und den Menschen Berichte von der russischen Revolution noch in Erinnerung waren, somit auch das Auftreten gewalttätiger Ausschreitungen für sie im Bereich des Möglichen lag. Wegen der Verunsicherung, die diese Menschen empfanden, wurde im Nachhall des Berichts sogar das Radio selbst als Bedrohung empfunden (vgl. "The Riot That Never Was", abgerufen am 27.10.2008).
Das prägnanteste sicherlich Orson Welles' 1938 ausgestrahlte Radiofassung des Romans "Krieg der Welten" von H.G.Wells. Darin wurde im Stil einer Live-Berichterstattung geschildert, daß die Vorboten außerirdischen Invasion in der Nähe der Stadt New York gelandet seien. Welles spielte dabei geschickt mit Stilmitteln, die das Hörspiel als realistisch erscheinen ließen, so etwa mit plausiblen Ortsangaben und der Präsentation eines nicht identifizierten Offiziellen, dessen Stimme der Stimme des damaligen US-Präsidenten Franklin D.Roosevelt frappierend ähnelte. Auch mit vermeintlichen Außenreportagen, die vom Stil her etwa an die Berichterstattung der noch in Erinnerung befindlichen "Hindenburg"-Katastrophe erinnerten, wurde eine Parallele zu bereits miterlebtem/gehörtem realen Geschehen nahegelegt. In Panik verließen auf der Flucht vor dem vermeintlichen Alienangriff Hunderttausende Menschen die Stadt New York. Die Panik hatte sogar einen sich selbst verstärkenden Effekt: So hatten Schaulustige - auch die gab es -, die sich den Ort der vermeintlichen Alienlandung ansehen wollten, tatsächlich den Eindruck eines weitgehenden Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung, weil die örtliche Polizei hilflos versuchte, die Menschenmasse aufzulösen. Aus dem Gebiet der vermeintlichen Alienlandung in New Jersey wurde sogar davon berichtet, daß ein verängstigter Mann, der sich in seinem Haus verschanzt hatte, einen Wasserturm zerschoß, den er für eines der Alien-Geräte hielt (vgl. Wikipedia: War of the Worlds (Radio), abgerufen am 27.10.2008). Dies hätte natürlich auch anders ausgehen können, hätte der Mann etwa auf vorbeifahrende Autos geschossen.
Ein deutsches Beispiel ist der 1970 produzierte Fernsehfilm "Das Millionenspiel" von Tom Toelle, in dem augenscheinlich eine Spielshow präsentiert wurde, die dem Kandidaten abverlangt, eine Woche lang zu überleben, während ihm eine Gruppe von Auftragsmördern auf den Fersen ist. Den Moderator spielte damals der ebenfalls im realen Leben als Moderator bekannte Dieter Thomas Heck, und in die Spielhandlung eingeschnitten wurden immer wieder Interviewszenen mit Passanten, die diese kommentierten. Es wird berichtet, daß sich nach der Ausstrahlung tatsächlich mehrere Personen beim WDR als Kandidaten oder Jäger bewerben wollten, weil sie die dargestellte Spielshow für real hielten. Schließlich sei auch die Sensationslust mit diesen Menschen durchgegangen (Wikipedia: Das Millionenspiel, abgerufen am 27.10.2008).
Nun könnte man einwenden wollen, daß solche Ereignisse durch die relative Unerfahrenheit der Menschen mit diesen Medien provoziert oder zumindest begünstigt worden waren. 2006 wurde allerdings durch eine fiktive Reportage, die im belgischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, in der die angebliche Unabhängigkeitserklärung des flämischen Landesteils thematisiert wurde, eine Hysterie in der französischsprachigen Wallonie ausgelöst (Wikipedia: 2006 Belgian Secession Hoax, abgerufen am 27.10.2008). Auch eine Rolle spielen kann also die Annahme von Menschen, daß in den Medien zumindest seriös erscheinende Personen auch nur die Wahrheit erzählten.
Nun könnte man all diese Beispiele als Beweise dafür ansehen wollen, daß durch Medien die Trennung zwischen Realität und Fiktion aufgehoben werden kann. All diese fiktionalen Beispiele hatten allerdings realistische Elemente, die einen Realitätsbezug suggerierten, hatten also den Bruch zwischen den beiden Welten bereits selbst vollzogen. Schließlich stellten insbesondere die letzten beiden dieser Beiträge gerade darauf ab, herrschende Mißstände - die Sensationslust der Fernsehzuschauer bzw. die Gleichgültigkeit ob der politischen Verhältnisse - anzuprangern und die Menschen ggf. zu Änderungen zu bewegen. Der Beitrag des Senders RTBF führte z.B. tatsächlich zu spontanen Demonstrationen, in denen Belgier für die Einheit ihres Landes eintraten.
2.3.x Interventionsstudien (A) - Unterbinden von Gewalt
Häufig hört man die Argumentation, Pädagogen sollten durch Interventionen verhindern, daß Gewaltsituationen auftreten (vgl. ). Allerdings wird eben dies nicht als klug angesehen. Eine solche erzieherische Intervention könnte nach Negt (1998) die Wahrscheinlichkeit von Gewaltausübung sogar erhöhen, da damit ein Zwang zur Wiederholung begründet wird, Gewaltsituationen insbesondere in unbeobachteten Situationen, in denen eine möglicherweise dennoch notwendige Intervention nicht stattfinden kann. Besser wäre es entsprechend, daß Gewalterfahrungen in beobachteten Situationen gemacht werden können und eine Selbstreflektion in Gang gesetzt wird (vgl. Pilz 2001b, S.16).
2.3.x Interventionsstudien (B) - Schulung der Medienkompetenz
Im Rahmen von Interventionsstudien wurden die Auswirkungen konkreter erzieherischer Interventionen untersucht, die Medienwirkungen bzw. den Medienkonsum an sich reduzieren sollten. Während jüngere Kinder durch explizit kommunizierte Ablehnung von Gewalt beeinflußt werden konnten, zeigte sich bei älteren Kindern und Jugendlichen als effektiv, deren Medienkompetenz zu schulen. So wurden diese zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Medium und der dargestellten Gewalt angeregt, um deren Wahrnehmung und Interpretation von Medieninhalten zu verändern (vgl. Möller 2006, S.84-86).
Robinson et al. hielten Dritt- und Viertklässler dazu an, über einen Zeitraum von sechs Monaten ihren Medienkonsum zu reduzieren. Dazu dienten verschiedene Lerneinheiten, ein Informationsangebot für die Eltern, eine medienfreie Zeit von zehn Tagen und Unterrichtseinheiten, mit denen die gezielte Auswahl der konsumierten Inhalte geschult werden sollte. Nach Abschluß des Sechsmonatszeitraums zeigten die Kinder, die an dem Programm teilgenommen hatten, eine deutlich geringere Aggressivität. Die Autoren der Studie folgerten daraus, daß die Reduktion des Medienkonsums für diese Verringerung verantwortlich sei, und im Umkehrschluß entsprechend eine kausale Wirkung des Medienkonsums auf die Aggressivität. Allerdings wurde hier die Auswirkung der medienpädagogischen Maßnahmen selbst nicht betrachtet (vgl. Brunn et al. 2007, S.50f.).
Daneben ist eine Reduktion des Medienkonsums anscheinend auch nicht erforderlich: Huesmann et al. führten 1983 ein vergleichbares Programm durch, in dem Dritt- bis Fünftklässler für die Inadäquanz von Gewalt zur Lösung gesellschaftlicher Probleme sensibilisiert wurden. Nach Abschluß des Programms zeigte sich für die Kinder, die daran teilgenommen hatten, keine Korrelation mehr zwischen dem Konsum von Mediengewalt und der Aggressivität, während die propagierte Korrelation für Kinder, die nicht an dem Programm teilgenommen hatten, weiterhin bestand. Der Konsum hatte sich auch bei den Kindern, die teilgenommen hatten, im übrigen nicht geändert (vgl. Möller 2006, S.84-86).
Insbesondere das letzte Programm zeigt recht deutlich den Erfolg der Schulung der Medienkompetenz. Hier muß dann insbesondere die Frage gestellt werden, warum angesichts der doch angeblich eklatanten Zunahme der Gewalt viel weniger darum diskutiert wird, die Medienkompetenz von Jugendlichen zu entwickeln als vielmehr den Medienkonsum zu reglementieren. Eine Antwort darauf mag eine Begutachtung der Medienkompetenz der Pädagogen geben.
Nach Feierabend (1996) besitzen viele Lehrer selbst wenig Medienkompetenz bzw. Erfahrungen damit, solche als kritisch empfundenen Medieninhalte in ihrem Unterricht adäquat zu thematisieren. So seien entsprechend 93% der Lehrer der Meinung, die Medienerziehung sei primär eine Aufgabe, die von den Eltern wahrgenommen werden sollte. Dies sinnigerweise, obwohl die Lehrer gleichzeitig die Eltern als häufig damit überfordert sahen, ihre Kinder zu einem kritischen Umgang mit Medien zu erziehen. Qua ihrer Ausbildung müßten Lehrer eigentlich einen besseren Hintergrund haben. Jedoch wurde im Rahmen der Lehrerausbildung die Medienerziehung kaum thematisiert (vgl. S.14f.).
Etwa ein Drittel der Lehrer sprach nichts destotrotz häufig über Gewalt im Fernsehen oder den Medienkonsum als solchen, besonders häufig sogar Grund- und Hauptschullehrer (vgl. ebd., S.15f.). Allerdings haben Lehrer auch eher wenig Erfahrung mit den Inhalten, die für Jugendliche so attraktiv sind, weil sie primär öffentlich-rechtlicher Programme und anteilmäßig auch mehr Informationssendungen ansehen und entsprechend der Anteil von kommerziellen Fernsehsender und Unterhaltungssendungen eher gering ist (vgl. ebd., S.17f.).
Dies entspricht vielleicht eher einem "erwachsenen" Konsumverhalten, ist der ausgeprägte Konsum von Actionfilmen vielleicht eher ein Kennzeichen des Jugendalters. Allerdings ist es schwierig, über bestimmte Inhalte zu sprechen, die man vielleicht selbst nicht kennt, ohne selbst ins bloße Dozieren vermeintlich affirmativer Thesen wie etwa von Postman zu verfallen.
[Anekdotisch kann ich dabei etwa auf den Lehrer im Deutsch-Leistungskurs verweisen, der selbst eher medienkritisch war und den Schülern entsprechend im Rahmen seiner Unterrichtsreihe zu Medieninhalten vorwiegend medienkritische Texte und Thesen präsentierte, deren Aussagen damit mehr oder weniger als wissenschaftlicher Konsens dargestellt werden. (Tatsächlich aber sind die eher einfachen Darstellungen Postmans und seiner Epigonen umstritten oder sogar sachlich falsch.) Bei der Analyse von Fernsehsendungen durch die Schüler konnten diese entsprechend nur Bestätigungen für Postmans Thesen finden, nicht aber Bestätigungen für Gegenargumente, die andere Autoren gebracht hatten, da sie diese Gegenargumente schlicht und einfach nicht kannten. Andererseits hatte auch eine Sozialkundelehrerin sicherlich ein bemühtes Interesse daran, auf Spitzfindigkeiten in der Choreographie von Actionfilmen hinzuweisen, so etwa auf vermeintliche rassistische Stereotype. Allerdings bleibt eine Auseinandersetzung mit einem Medium, die nicht die Sicht der Konsumenten berücksichtigt, letztlich eine Leerstelle. So ging eine solche Betrachtung völlig an den Sehgewohnheiten der 16jährigen vorbei, die sie dort vor sich hatte. Diese hatten sich wohl nicht einmal Gedanken darum gemacht, welche Hautfarbe nun die Darsteller im vorgeführten Actionfilm hatten.]
2.3.x Sozialkompetenz
Cheryl K.Olson von der Harvard University führte im Auftrag des US-Justizministeriums eine der größten Studien über die Auswirkungen von Computerspielen auf Kinder und Jugendliche durch. Diese war von einem Republikaner finanziert worden, der damit hatte belegen wollen, daß Spiele wie "Grand Theft Auto" Jugendliche gefährden.
Die Ergebnisse waren allerdings genau gegenteilig: So zeigten Kinder, die keinen Kontakt zu Videospielen hatten, mehr Probleme in Schule und Elternhaus. Das Videospielen stellte sich als eine im wesentlichen kollektive Aktivität dar, die Sozialkompetenz fördern könne ("Nichtspielen ist ein Zeichen fehlender Sozialkompetenz", abgerufen am 08.05.2008).
2.4 Zur Relation: Erkenntnisse über andere Gewaltwirkungen
2.4.1 Sport
"Sie empfinden dabei Spaß. Sie wissen nichts. Ich sah einmal in einer Schlacht einem Mann das Herz im Körper platzen, als er in Todesangst vor seinen Feinden floh."
(Leonardo da Vinci)
Im Unterschied zur Mediengewalt handelt es sich bei der Gewalt, die bei "kampfbetonten Sportarten" (s.u.) ausgetragen wird, um reale Gewalt (vgl. Gilmartin 1987, S.253). Nicht umsonst sah Leonardo da Vinci schon vor 500 Jahren den Sport als Vorbereitung zum Krieg. Denn auch für sportliche Wettkämpfe zeigen verschiedene Untersuchungen eine Steigerung der Aggressivität der eigentlichen Wettkämpfenden () als auch von Zuschauern solcher Wettkämpfe () auf. Gilmartin (1987) geht sogar soweit, eine direkte auch kausale Wirkung zwischen dem Interesse von Jugendlichen an kampfbetonten Sportarten und dem Auftreten von Gewaltkriminalität zu unterstellen. Trainer und Zuschauer verlangen von den Spielern, zu "kämpfen", d.h. aggressiv zu spielen, und Spieler werden dafür durch Anerkennung, ggf. durch Geld etc. belohnt. Aggression wird hier also - "im Rahmen der Regeln" - gefordert und gefördert, während ein Nachdenken über die Konsequenzen von Gewalt oder die Empfindungen des Gegners eher ausbleibt. Insbesondere bei Jugendlichen, die schon eine hohe Trait-Aggressivität haben, liegt seiner Einschätzung nach a. die Gewaltausübung im Spiel und b. die Übertragung von Gewalttätigkeit, die im Spiel gefordert wird, auf die Realität, die sich dann in Gewaltkriminalität äußere, dementsprechend nahe (vgl. S.253f.).
Nun bezieht sich Gilmartin insbesondere auf "American Football" (vgl. ebd., S.253-256) und nicht auf die dort als "Soccer" bekannte Sportart Fußball, wo im Vergleich ein geringerer Körperkontakt gepflegt wird, und wäre diese Theorie schließlich genauso flach wie eine direkte kausale Wirkung von gewalthaltigen Medieninhalten zu unterstellen. Einzelne Schulen in der Schweiz verbieten aufgrund ähnlicher Vorstellungen tatsächlich ihren Schülern bis zur 7.Klasse Fußball, weil es sich dabei um eine "kampfbetonte Sportart" handle, die obendrein noch die Konzentration schmälere. Was allerdings nicht ganz nachzuvollziehen ist, da die betreffenden Schulen dann ab der 8.Klasse sogar das noch eher aggressive Rugby - das dann wieder in die Definition von Gilmartin paßte - dem Fußball vorziehen, da erstere Sportart eher "körperliche Grenzerfahrungen" ermögliche ("10 vor 10", Nachrichten im Schweizer Fernsehen, 26.06.2008).
Nichts destotrotz aber wird die Betätigung in kampfbetonten Sportarten für Jugendliche sowohl als charakter- und körperbildend (vgl. Gilmartin 1987, S.254) wie auch als ein legitimes Mittel der Aggressionsabfuhr gesehen, da hier im Sinne einer Aggressionsverschiebung die immer gegebene Aggression auszuleben ().
Quellen zu diesem Abschnitt
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